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[Überblick]

Ich fand, es ist mal an der Zeit, ein wenig Ordnung in die Challenge zu bringen. Immerhin ist es auch für mich schwierig geworden, immer die...

16.08.2017

[18 Nature's Fury]

Es ist warm. Also, es war heute zumindest warm. Man weiß ja bei den aktuellen Temperaturschwankungen nicht, wie es morgen aussehen wird. Allein deshalb wurde es Zeit, dass ich diesen Teil der Challenge endlich fertiggestellt habe. Der Titel passt doch irgendwie zu diesem merkwürdigen Sommer, der keiner ist.



Er schaute aus dem Fenster der kleinen Abtei, in die er von der Geistlichen mitgenommen worden war. In den letzten Stunden hatte der Regen unaufhörlich zugenommen, sodass er nun in voller Wucht vom Himmel preschte. Läge das Fenster nicht unter dem Dachüberstand, könnte man gar nicht hinausschauen. Auch so war nicht viel mehr als Sprühnebel zu erkennen.
Er schaute durch die Scheibe in Richtung Himmel, wo er dunkle Wolken erahnen konnte, die aussahen, als wären sie auf einer Mission unterwegs. Ob sie ihn wohl holen wollten? Ihn, der gar nicht mehr leben sollte. Eigentlich glaubte er ja nicht an Zeichen, doch der Regen hatte erst begonnen, als er aus der Wüstenstadt ausgebrochen war. Das konnte alles bedeuten – oder ein dummer Zufall sein.
Da er sich in diesem Regen nur verirren würde, hatte er vorhin das Angebot der Geistlichen angenommen, ein wenig zu verweilen. Es war sein Plan gewesen, möglichst schnell wieder zu verschwinden, am besten gleich nach dem ersten Tee. Oder auch davor, wenn es nicht zu unhöflich war. Doch die Gelegenheit hatte sich nicht ergeben, weshalb er nun schon seit Stunden hier unter den Weisen Frauen verweilte, die ihn weitgehend in Frieden ließen. Einzig die junge Frau aus dem Wald blieb nicht auf Abstand, gerade so als wüsste sie als einzige nicht wie unnatürlich sein Leben war. Woher sollten ihre Schwestern es jedoch wissen? Er konnte für sie alle nur ein verwirrter Mann sein, der in diesen Gemäuern Schutz vor dem grausigen Wetter gefunden hatte.
Nach einem leisen Türklopfen trat die Geistliche mit den kurzen Haaren ein. Sie trug ein Tablett mit zwei Bechern, aus denen es dampfte. Noch mehr Tee.
„Seid Ihr Novizin?“, fragte er, als sie die Tür schloss.
Sie lächelte schräge. „Ist das so offensichtlich? Ich werde es vermutlich immer bleiben, wenn sich einige meiner Ansichten nicht ändern. Ich bin meinen Schwestern ein Stück zu weltlich.“
„Die Begeisterung über Euren Gast hält sich also in Grenzen, nehme ich an.“
„Nicht im Allgemeinen“, erwiderte sie, während sie die Becher auf dem kleinen Tisch neben dem Fenster abstellte, „aber großes magisches Potential wird hier nicht nur als Geschenk der Göttin gesehen.“
So sehr die Welt sich auch in all den Jahrzehnten verändert hatte, gehörte er doch nicht dazu. Immer noch nicht.
„Nimmt man Euch übel, dass Ihr mich herbrachtet, Schwester…“
„Kasia. Und: nein. Ich bot jemandem Hilfe an, der sie benötigte. Schaut Euch nur diesen Sturm an! Darin wäret Ihr verloren gewesen.“
Er schaute wieder hinaus in den Sprühnebel. Man konnte nur wenig schemenhaft erkennen, wie den dunklen Himmel. Ansonsten waren hauptsächlich Schatten zu sehen, die sich schnell durch den Regen bewegten. Wie Phantome auf der Jagd nach etwas.
„Wie darf ich Euch nennen, mein Herr?“
Früher hätte er sich nicht gefragt, ob diese Schatten herumfliegendes Geäst waren oder vielleicht doch Wesen, die nach ihm suchten.
„Nito. Mein Name ist Nito.“
In seiner Jugend war sein Name einst Nito gewesen, doch er hatte ihn eine halbe Ewigkeit nicht gehört. Niemand, der ihn einst so genannt hatte, war noch am Leben.
„Nito“, wiederholte Kasia lächelnd, „mögt Ihr mir etwas über Euch erzählen, um uns die Zeit zu vertreiben?“
Sie setzte sich an den Tisch und nahm einen Becher Tee. Nito betrachtete sie lange, ohne etwas zu sagen, wovon sie sich nicht stören ließ. Inzwischen trug sie ein fliederfarbenes Kleid, das niemals außerhalb der Mauern eines gesegneten Ortes getragen werden durfte, wie er wusste. Er verbarg ihre Formen besser als das Gewand, das sie im Wald getragen hatte. Nicht, dass er sich über die teils durch den Regen entstandenen Zurschaustellung ihrer Rundungen beschwert hätte. Ein Teil des Mannes, der er einst gewesen war, schlummerte einfach noch in ihm.
„Ich muss mich zuerst in aller Form für die Gastfreundschaft bedanken, die Ihr mir zuteilwerden lasst. Und für die Kleidung.“
Er hatte protestiert, er brauche keine trockenen Sachen, doch in dem Fall hatte Kasia insistiert,
Sie trank einen tiefen Schluck aus ihrem Becher, wobei sie ein spitzbübisches Lächeln nicht verbarg, das ihr ganzes Gesicht erhellte. Fast wie bei ihr. Nitos Herz fühlte sich plötzlich schwer an, als er wieder an sie dachte.
„Das ist doch selbstverständlich von einer Weisen Frau. Selbst von einer Novizin.“
„Obwohl Eure Schwester mir mit Argwohn begegnen?“
„Es irritiert sie, dass ich jemanden im Wald aufgelesen habe, dessen Magie alles übersteigt, was uns bekannt ist. Und dann ist da noch Eure Augenfarbe.“
Er griff unwillkürlich an seine Schläfe, als würde das etwas an seinen hellen Augen ändern, die lila schimmerten.
„Sie waren früher blau“, sagte er leise.
„Aber das ist schon sehr viele Jahre her, oder?“
Der Sturm heulte besonders laut auf, während ein Blitz die Dunkelheit erhellte. Als wäre die Natur ihm wirklich auf den Fersen. Nito zählte die Sekunden bis zum Donner. Fünf. Die Abtei lag also fast im Zentrum des plötzlichen Gewitters.
Fragend schaute er zu Kasia, die angesichts des Wetters und ihres ungewöhnlichen Gasts vollkommen ruhig wirkte. Vorhin im Wald war sie aufgeregter gewesen.
„Woher glaubt Ihr das zu wissen?“
Sie stellte den Becher ab, stand auf und griff Nitos Hände. Ihre Finger waren warm, genau wie ihre Aura – vertraut, freundlich, fragil – genau wie bei ihr.
Ein weiterer Blitz zuckte durch den Himmel, der Donner folgte keinen Herzschlag später.
„So viel Magie…“, sagte Kasia wenig erleuchtend, „und ein so trauriger Blick. Ich war mir sicher, die junge Frau im letzten Jahr habe von Euch gesprochen.“
„Sie war hier?“
Etwas klirrte, doch das war weit weg von Nito, der noch gar nicht richtig begriff, was gerade passierte.
Kasias Aufmerksamkeit galt kurz einem Ort außerhalb des Raumes, während für Nito nichts Weiteres existierte. Nur ein Zimmer, eine Frau und eine Erinnerung.
„Eine junge Dame war hier, ja. Sie erzählte von ihrem besten Freund aus der Stadt, die sie zurückgelassen hatte. Groß, blond, helle Augen. Ähnliches magisches Talent wie bei ihr. Sie war die mächtigste Magierin, der ich je begegnet bin.“
„Sie war wohlauf?“
„Damals schon, aber ich kann nichts zu ihrem jetzigen Zustand sagen. Ich bete zur Göttin, dass ihre Reise eine leichte ist.“
Natürlich konnte Kasia nichts wissen. Sie musste ganz am Anfang ihrer Reise hier gewesen sein, so wie Nito. Trotzdem erleichterte ihn dieses neue Wissen.
„Ihr solltet Euch nicht zu sehr um Eure Freundin sorgen. Sie ist von starkem Geist und sehr pfiffig.“
Das wusste er doch selbst. Er setzte zu einem Kommentar an, als es erneut von irgendwo klirrte und schepperte. Kasia ließ seine kalten Hände sofort los um zum Fenster zu gehen.
„Was ist geschehen?“, fragte Nito verwirrt.
„Es Fenster wurde eingeschlagen, schätze ich. Ich kann nur nichts sehen.“
Ein Blitz. Ein Donnergrollen.
„Es ist das schlimmste Unwetter, das ich je erlebte.“
„Mir geht es ebenso“, murmelte er nachdenklich. Es musste ein Zufall sein, dass das Wetter genau an diesem Tag so umgeschwungen war. Es konnte keine Fügung sein.
„Wollt Ihr mir helfen zu schauen, ob alles in Ordnung ist?“, fragte Kasia, die bereits zur Tür ging.
Nito folgte ihr auf den Gang, wo ihnen sofort einige Weise Frauen begegneten, die besorgt miteinander tuschelten. Alle strebten in dieselbe Richtung, in die Kasia und Nito sich auch aufmachten. Er konnte nicht viel von dem verstehen, was die Weisen Frauen sagten, doch er glaubte zu fühlen, dass es dabei auch um ihn ging. Als wäre seine Ankunft hier gekoppelt mit dem Sturm ein schlechtes Omen.
Über den Gang wehte ein kalter Wind, der stärker wurde, je näher sie einem Raum kamen, vor dem sich die meisten Schwestern aufhielten. Nito warf einen Blick hinein. Wo einst eine Fensterscheibe gewesen war, klaffte nun ein großes Loch, durch das ein Baum hereinragte. Einige Weise Frauen versuchten etwas daran zu ändern, doch der peitschende Regen und Wind erschwerten ihre Arbeit.
Nito wollte in den Raum gehen, wobei ihm immer wie zufällig der Weg verstellt wurde. Er schaute verwirrt zu Kasia, deren Blick sich verfinsterte. Sie griff ihn bei der Hand und drängelte sich zwischen ihren protestierenden Schwestern hindurch.
„Ihr seid Magier“, rief sie gegen das Tosen von Wind und Regen, „Könnt Ihr etwas tun?“
Und ob er das konnte!
Die Wassertropfen auf seiner Haut ließen die Energie in seinem Körper tänzeln, seine Hände kribbeln. Er machte nur eine kleine Geste mit seiner freien Hand, die sofort dazu führte, dass sich der hereinragende Baum ein Stück nach oben bewegte. Eine zweite Geste war ebenso einfach gemacht, obwohl hinter ihr mehr Kraft steckte, mit der er den Baum vom Gemäuer wegdrückte. Danach errichtete Nito einen Schild aus Wasser, der das Eindringen von weiteren Anzeichen des Sturms verhinderte.
Das war es, wozu er gemacht war. Er konnte richtig fühlen, wie sich etwas in seinem Körper freudig aufbäumte, weil er seine magischen Fähigkeiten genutzt hatte um mehr zu tun, als einen Patienten nach Knochenbrüchen zu untersuchen.
Aber er bemerkte auch schnell die drückende Stille unter den Weisen Frauen, die nun vorherrschte.
„Nito!“, rief Kasia aus, während sie die Arme um ihn legte, „Das war großartig von Euch! Vielen Dank!“
Dass ihre Schwestern weit weniger von seiner Leistung und ihrer Überschwänglichkeit angetan waren, wusste sie sicherlich selbst. Sie sah nur nicht aus, als würde es sie kümmern, was ihrer Behauptung, ihre Ansichten passten ihren Schwestern nicht, Nachdruck verlieh.
„Der Schild hält nicht ewig und ansonsten war das doch selbstverständlich, immerhin wurde ich hier so freundlich aufgenommen.“
„Wäre es Euch möglich, einen Schild um die gesamte Abtei zu errichten?“ Hoffnung schwang in ihrer Stimme, die Nito nicht gleich zunichtemachen wollte. Sie könnte bestimmt ohne Probleme einen solchen Zauber wirken, wenn sie sich die eigene Kraft nur endlich eingestand. Er hingegen war deutlich schwächer, auch nach den vielen Jahren, die er in der Wüstenstadt verbracht hatte.
„Ich werde mein Bestes geben.“
Schnell zog Kasia ihn aus dem Raum und führte ihn –  wieder an der Hand – aus dem Gebäude. Die Ausgangstür ließ sich kaum öffnen, so sehr drückte der Sturm dagegen.
Nito spürte Schmerzen in der Brust, kaum war er aus dem Gebäude getreten, und blieb deswegen stehen. Dieses Stechen hatte er in den vergangenen Stunden so gut verdrängt, dass es ihn mit voller Wucht traf. In der Abtei hatte er es nicht gespürt. Weil diese ein Haus der Göttin war?
„Ihr seht blass aus“, rief Kasia ihm zu, um gegen den Sturm anzukommen. „Sollen wir wieder hineingehen?“
Er schüttelte den Kopf. Aufgeben war keine Option. Sollte dieser Wetterumschwung tatsächlich seinetwegen geschehen sein, musste er auch etwas dagegen unternehmen.
Er stellte sich ein paar Schritte von Kasia entfernt hin und streckte seine magischen Finger aus, um das Gebäude in seiner Gesamtheit zu erfassen. Gar nicht so groß, da könnte sein Werk gelingen.
Seine Brust schmerzte und unter den Regen auf seiner Haut mischte sich Schweiß von der Anstrengung, die ihm allein das Stehen bereitete. Er musste nur noch diesen Zauber wirken, das konnte so schwer nicht sein.
Die Magie tänzelte unter seiner Haut und er wollte sie hinauslassen, doch ein heftiger Schmerz, der seinen gesamten Oberkörper durchzog, zwang ihn in die Knie.
„Nito!“ Kasia war schon an seiner Seite, um ihn aufrecht zu halten. Aber er merkte, dass er nicht mehr lange bei Bewusstsein bleiben würde, er war lange genug für die Kranken zuständig gewesen.
Schmerzschmerzschmerz.
„Wir gehen wieder hinein, in Ordnung? Dort ruht Ihr euch aus, Nito.“
Sie wiederholte seinen Namen wohl, damit er ihr auch zuhörte. Aber der Name war eine Lüge wie so vieles in seinem Leben. Mit letzter Kraft zog er sich zu Kasia hoch.
„Mein… Name… Er ist-“

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