Madame ist zurückgekehrt, das erste Mal seit 2010 (?). Ihre Geschichte wurde allein für diesen Ausschnitt generalüberholt. Von wem ich rede? Nun, das kommt jetzt!
Miki hatte es noch nie gemocht, aus einem Schlaf
aufzuwachen, in den Schlafmittel sie versetzt hatten. Ihre Sinne mussten erst
einmal in die Gänge kommen, damit sie sich nicht mehr wie in Watte gepackt
fühlte. Aber ohne Schlafmittel gab es manchmal einfach keinen Schlaf, also
machte sie es immer wieder aufs Neue mit.
Langsam, weil vorerst nur langsam ging, drehte sie sich
zur Seite und tastete nach dem Schalter, mit dem sie eine Pflegerin zu sich
rief. Sie fand ihn nicht, hatte stattdessen das Gefühl, ihre Matratze wäre
uneben und einzelne Fasern würden herausstehen. Wie bei – verwirrt öffnete sie
die Augen – wie bei dem Rasen, den sie vor sich sah.
Ihr stockte der Atem, ihre Augen wurde groß, der
Herzschlag schneller. Wie war sie hergekommen? Sie versuchte sich aufzurichten
und stellte fest, dass es ohne Schwierigkeiten funktionierte – was nicht das
Merkwürdigste an dieser Situation war. Keine Gelenke gaben nach, ihr wurde
nicht schwindelig, nur ein wenig mulmig.
Ihre Augen sielten ihr sicher noch einen Streich, denn
was sie vor sich sah, ergab zu wenig Sinn. Sie war eindeutig in ihrem Bett im
Krankenhaus eingeschlafen, doch nun erstrahlte vor ihr der Rasen in frischem
Mintgrün und wurde nur von kleinen Blumen unterbrochen, die wie Lollipops
aussahen. Ein Stück weiter befand sich ein Wald, dessen Bäume auf die
Entfernung aussahen, als wären ihre Kronen fluffig.
„Bist du endlich wach? Ich habe nicht ewig Zeit“, brummte
eine tiefe Stimme auf der anderen Seite, sodass Miki sich dorthin umdrehte und
niemanden sah.
„Was ist…?“
„Hier!“, sagte die Stimme erneut von weiter unten als
Miki sich umgeschaut hatte.
Vor ihr saß ein sandfarbenes Kaninchen mit zurückgelegten
Ohren, wodurch es trotz seiner Knopfaugen missgestimmt aussah.
Das kann nicht
sein.
„Es passiert nicht jeden Tag, dass jemand aus dem Himmel
stürzt – nie, wenn ich richtig darüber nachdenke. Muss du das gerade in meiner
Nähe tun, wenn ich einen Termin habe?“
„Was?“
„… einen Termin habe“, wiederholte es lauter. „Du siehst
zwar deinem Sturz zum Trotz munter aus, aber vielleicht ist doch etwas
kaputtgegangen.“
Miki legte die Stirn in Falten und schaute in den Himmel
hinauf. Sollte sie tatsächlich gestürzt sein, hätte sie das kaum munter, geschweige
lebendig überstanden. Woher sie gekommen sein sollte, konnte sie sich nicht
erklären, außer das hier war ein Traum. Wo sonst sprachen Kaninchen? Das Schlafmittel
hatte einfach mehr getan als sie einschlafen zu lassen, es ließ sie auch
komisch träumen! Sie kam sich dabei nur ungewohnt luzid vor.
„Wer bist du?“, fragte sie das Kaninchen, obwohl ihr eine
andere Frage unter den Nägeln brannte.
„‘Wer seid Ihr?‘ ist die richtige Frage, Fräulein. Und
die Antwort ist: Herzog Earnest von Hoppleton.“
Miki hielt ein Lachen mühevoll zurück. „Dann bitte ich
vielmals dafür um Entschuldigung, Euch falsch angesprochen zu haben, Herzog.“
„Sie sei dir gewährt“, sagte von Hoppleton ohne sie
anzusehen. „Nun aber auf, auf! Wir haben nicht ewig Zeit, wenn ich meinen
Termin noch wahrnehmen will.“
„Wie bitte?“
Der Herzog blickte an ihr vorbei. „Der Zuckerkönig muss
sofort erfahren, dass ein Mensch hier aufgetaucht ist. Du bist doch einer.“
Eine Feststellung, keine Frage, „Also ist es meine Pflicht, dich zu ihm zu geleiten.“
Es konnte sich nur um eine Wahnvorstellung handeln, sonst
würden die Worte doch Sinn ergeben. Kämen sie nicht von einem Kaninchen mit
Zeitdruck.
Miki stand auf und genoss das Gefühl, es ohne Hilfe zu
können. Ihre Beine gaben nicht nach, die Knie zitterten nicht einmal. Es war
lange her, dass das vorgekommen war, was ihr deutlich machte, wie viel hier
verkehrt war. Gras war grün, Nager redeten nicht, es gab keine Spontanheilung
für sie, also konnte sie nicht selbstständig stehen. So einfach und grausam war
die Realität.
„Und?“, von Hoppleton forderte ihre Aufmerksamkeit,
„Ja?“
„Bist du fertig damit, merkwürdig zu sein? Ich würde das
gerne hinter mich bringen.“
Wer von ihnen merkwürdig war, würde sie nicht mit ihm
ausdiskutieren.
„Also führt Ihr mich zum Zuckerkönig?“
„Das sagte ich doch.“ Das Köpfchen des Herzogs zuckte zur
Seite. „Da ist die Sommerresidenz Seiner Hoheit, aber die hast du in deiner
Merkwürdigkeit noch nicht beachtet.“
Ein gutes Stück entfernt stand mitten auf dieser
mintgrünen Wiese ein Gebäude, das Miki schlecht erkennen konnte. Es war groß
und hatte Zwiebeltürme, so viel erahnte sie.
„Entzückend“, sagte sie halb ernst, halb sarkastisch. „Und
wie ist Seine Hoheit so?“
„Das siehst du dann! Jetzt komm, ich habe keine Zeit für
Nonsens.“
Der Herzog hoppelte los und es fiel Miki schwer, ihn im
höheren Gras im Blick zu behalten, das kurz hinter der Stelle begann, an der
sie aufgewacht war. Sollte sie wirklich einem Kaninchen folgen, das sprechen
konnte und spät dran war? Das hatte doch schon einmal ein merkwürdiges Ende
genommen… Trotzdem ging sie den raschelnden Stellen im hohen Gras nach, weil
ihre anderen Optionen nicht minder sinnlos waren. Vielleicht stellte sich
dieser Zuckerkönig gar als jemand heraus, der sie aus diesem Traum aufwachen
ließ. Zu verlieren hatte sie nichts.
Der Weg zog sich wie Kaugummi. Miki hielt immer wieder
Ausschau nach ihrem pelzigen Wegführer und schaute zwischendurch auf die Sommerresidenz,
die stetig näherkam. Die Fassade des dreistöckigen Gebäudes war hellbraun und
sah immer mehr aus, als bestünde sie aus Butterkeksen, die hier und da mit
farbenfrohen Ornamenten verziert waren. Miki erwartete beinahe, dass sie
irgendwo Gummibären entdecken würde, wurde da jedoch enttäuscht. Die Spitzen
der Zwiebeltürme passten jedoch ins Bild, denn sie bestanden aus Baisertuffs,
während das Hauptgebäude mit Lebkuchen gedeckt war.
„Sind die Fenster aus Zucker?“, fragte sie belustigt.
„Wo denkst du hin? Die sind natürlich aus Glas, sonst
wären sie zu instabil. Besonders bei Hitze und Nässe.“
Da sprach wohl die Erfahrung mehr als gesunder Verstand.
Was wohl mit den Keksen geschah, wenn es regnete? Miki brütete noch über dieser
Frage, als das Gras plötzlich wieder auf eine Länge gestutzt war und sie
deshalb den Herzog vor sich hoppeln sehen konnte. Seine Ohren lagen nicht mehr
dicht an, also war er nicht wütend. Hoffte sie wenigstens. Das Verhalten von
sprechenden Kaninchen zu analysieren hatte ihr niemand beigebracht, was alles
auf Mutmaßungen begrenzte. Genau wie Dinge, die den Zuckerkönig oder alles
andere betrafen, nur ein sehr schemenhaftes Bild in ihrem Kopf ergaben. Ihr kam
etwas an dem Gebäude aus Butterkeksen vertraut vor, konnte sich aber nicht
vorstellen, wieso. Außer sie stand tatsächlich unter dem Einfluss von
Medikamenten und das nicht zum ersten Mal.
Ohne weitere Worte zu verlieren hoppelte der Herzog zur
Tür, die sich selbstständig für ihn öffnete, und setzte seinen Weg fort. Er
schaute nicht einmal, ob Miki hinter ihm war, obwohl sie eine Sekunde mit sich
rang, inwiefern es eine gute Idee war, weiterzugehen. War sie an den Zweifeln
nicht schon vorbei? Kein Zurück mehr!
In der Sommerresidenz war es dunkel und stickig. Die Luft
roch nach Früchten anstelle von Kuchen, wie Miki angenommen hatte. Im spärlichen
Licht konnte sie erkennen, dass der Boden glänzte und eine Farbe aufwies, die wohl
ins rötliche ging. Es könnte Marmor sein, doch die Muster erinnerten sie mehr
an Bonbons. Die hellen Wände erinnerten auf den ersten Blick an Baiser, so
fluffig wirkten sie. Im Vorbeigehen strich Miki darüber und stellte fest, dass
sich die Wände fest anfühlten, wie sie es auch sollten. Ein Traum, nichts
weiter. Sie wachte bald auf. Dann musste sie sich keine Gedanken mehr um
keksförmige Hocker machen oder Schränke, die wie Törtchen anmuteten.
„Wo bin ich hier eigentlich?“
Der Herzog lachte auf. „Ha! Dass du erst jetzt fragst,
zeigt, wie merkwürdig du wirklich bist!“
„Das beantwortet die Frage nicht!“
„Du bist überall und nirgendwo, nah und fern. Im Himmel
und im Meer. Vor allem aber zwischen hier und da. Niemand sollte herkommen
können, außer- Aber das erfährst du noch früh genug, solltest du bleiben. Wir
befinden uns jedenfalls am Stadtrand von Somphyny, falls das den Wissensdurst
stillt.“
Die Antwort warf nur noch mehr Fragen auf, doch die
stellte Miki nicht, weil Herzog von Hoppleton vor einer Tür stehen blieb und
sich zu ihr umdrehte.
„Wie soll ich dich ankündigen, Mensch?“
„Ich heiße Michaela.“
„Gut, warte hier.“
Er verschwand in den Raum, sodass Miki mit mulmigem
Gefühl zurückblieb. Was erwartete sie beim Zuckerkönig? Trotz der unwirklichen
Situation wurde ihr bewusst, dass sie niemals zuvor mit jemandem von Stand zu
tun gehabt hatte. Und Rex, der Dackel ihrer verschrobenen Tante zählte absolut
nicht. Obwohl das überfütterte Tier gut in eine Welt aus Süßigkeiten passen
würde.
„Und deswegen“, riss die tiefe Stimme des Herzogs sie aus
ihrem Gedankengang, „brachte ich Ihre Merkwürdigkeit Michaela die Menschin zu
Euch.“
Das sollte wohl ihr Stichwort sein, doch Miki blieb erst
einmal stehen, um zu verdauen, wie dieser vorlaute Nager sie angekündigt hatte.
Nur die Gewissheit, dass garantiert nicht sie merkwürdig war, trieb sie dann
doch in den Raum, in dem sie vom hellen Licht geblendet wurde, das durch die
großen Fenster auf sie fiel.
„Sie mag nicht die schnellste ihrer Art sein“, setzte von
Hoppleton hinzu, „aber das macht sie gewiss nur liebenswerter.“
Oh, wie gerne würde Miki sarkastisch kontern, doch ihr
fiel nichts ein, also warf sie dem Herzog nur einen giftigen Blick zu.
„Das ist sie also“, sagte eine hellere Stimme vor ihr,
die sie den Herzog vergessen ließ, „Sie könnte hierher passen, finden Sie
nicht?“
Der Mann auf dem Thron – sofern der pompös gepolsterte
Stuhl denn einer war – war viel jünger als Miki sich einen König vorstellte,
höchstens Mitte zwanzig. Er war schlank, was unter seinem eng geschnittenen
orangefarbenen Oberteil besonders auffiel. Die tiefblauen Hosen betonten lange,
schmale Beine. Schuhe trug er nicht. Viel interessanter fand Miki jedoch das
Zusammenspiel seiner schokobraunen Haut und seiner cremeweißen Haare.
„Sie wirkt eher farblos auf mich“, antwortete von
Hoppleton.
Im Vergleich war Miki das wirklich. Helle Haut, blaue
Augen, erdbeerblonde Haare, keine Kräftige Farbe weit und breit. Und dann
steckte sie auch noch in einem formlosen hellblauen Nachthemd aus dem
Krankenhaus, das nichts für ihre Figur oder ihren Teint tat.
„Aber es ist nicht höflich über Sie zu sprechen, statt
mit Ihnen, geschätzte Michaela.“
„Ich werde Miki genannt.“
„Gut, dann Miki. Ich heiße Amnes, werde jedoch
Zuckerkönig genannt. Willkommen in Somphyny, einer nicht ganz unwichtigen Stadt
Traumlands.“
Miki! :D Wie schön mal wieder von ihr zu lesen. Ich freu mich total. ♥
AntwortenLöschenUnd alles ist anders! Miki und Danny sind in der bisherigen Idee geblieben - und der Rest wird von Grund auf neu gemacht. Ein schwieriges Unterfangen, aber ich musste dringend etwas ändern.
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