Acht abgehakt - 42 to go!
Es war nicht lange her, da hatte Ludwig sich die
Bedingungen selber gestellt. Casey war damit einverstanden gewesen und sie
lebten seither mehr oder weniger aneinander vorbei, um sich nicht gegenseitig
ins Gehege zu kommen. Sie war einfach zu jung. Sie würde noch begreifen, dass
er sie ausgenutzt hatte, wenn auch unbeabsichtigt.
Viel schlimmer war, dass er es wieder vorhatte.
Ludwigs Wagen stand seit 10 Minuten vor dem Haus der
Goldorfs und er traute sich nicht hinaus, obwohl er genau wusste, dass ihre
Eltern nicht da waren.
Er wollte Casey sehen. Er musste sie sehen. Das Verlangen
mit ihr zu reden war beinahe körperlich spürbar, machte ihn kribbelig und
gereizt. Er hatte sein Handy mehrfach in der Hand gehabt, aber eine
telefonische Verbindung würde ihm jetzt nicht mehr helfen. Er musste sie sehen,
hören, riechen, spüren, alles gleichzeitig.
Es war eine stressige Zeit, in der viel mehr neue Fälle
aufgetaucht waren als jemals zuvor. Die Gatherer waren Tag und Nacht
beschäftigt, so viele Flüche wie möglich zu entfernen. Opfer befreien.
Forschungsobjekte sammeln. Ludwig musste seine Mitarbeiter besser aufteilen,
dem Personal Ruhezeiten und Freischichten geben, alles deichseln. Dass auch er
Überstunden schieben musste, sah dabei fast niemand. Dass er dringend mit
jemandem reden musste, verstand jedoch jeder. Aber sie waren alle nicht die
richtigen. Er brauchte Casey.
Sein Blick war auf die Haustür der Goldorfs geheftet.
Hamburg-Reinbek war ein hübscher Stadtteil, der sich im vergangenen Jahrhundert
von einer Gegend mit fragwürdigem Ruf zum Treffpunkt der Schönen und Reichen
entwickelt hatte. Dem Krieg sei Dank. Hier standen Stadtvillen, hier standen
schöne Häuser, hier standen dicke Autos gut hinter Garagentoren versteckt. Als
weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannte Anwälte passten Caseys Eltern
gut zu den anderen Bewohnern.
Ob es Casey glücklich machte, wusste Ludwig nicht.
Vielleicht sollte er sie danach fragen, wenn er das nächste Mal mit ihr sprach.
Das würde nicht heute sein, weil er sich selbst nicht traute, wirklich nur mit
ihr zu reden. Solche Gedanken hatte er sich vor wenigen Monaten nicht erlaubt,
weil er da eingesehen hatte, dass sie noch ein Kind war. Doch dann hatte sie
ihm gezeigt, dass sie sich schon als Erwachsene sah, die ihn mit allem wollte,
das dazu gehörte.
Noch einmal konnte er dem nicht nachgeben, ehe sie nicht
tatsächlich volljährig war. Es dauerte doch nur ein halbes Jahr.
Seine Hand ging zum Anlasser, als die Tür aufging und
Casey hinaus trat. Sie trug Shorts, das tat sie fast das ganze Jahr über bei
Wind und Wetter, und schaute missmutig gen Himmel. Für eine Hamburgerin war sie
erstaunlich selten mit einem Regenschirm ausgestattet. Ludwig zögerte nur eine
Sekunde, sprang aus seinem Wagen auf und hastete zu ihr hinüber, Schirm in der
Hand.
Ihre Blicke trafen sich, bevor er sie erreicht hatte.
„Es bringt doch nichts einen Schirm in der Hand zu
halten, wenn du ihn nicht aufspannst“, begrüßte sie ihn grinsend.
„Ich bin nicht aus Zucker.“
„Aber du benutzt den Schirm verkehrt.“
„Weil ich ihn dir geben will.“
Er hielt Casey den Schirm hin, doch sie griff nicht
danach. Stattdessen legte sie ihre Hand auf seine und schenkte ihm einen Blick,
der ihm deutlich machen sollte, wie sehr sie noch ein Kind war. Mit großen
Augen, in denen eine Spur Naivität lag. Und ein Funkeln, das nur heißen konnte,
dass sie Spaß haben wollte.
„Ich überlege mir aber gerade, ob ich die Cornflakes
wirklich so dringend brauch‘, oder ob ich einfach mit einem Freund auf dem Sofa
sitzen will.“
„Würdest du das tun? Also, nur sitzen und reden?“
Sie zuckte mit den Schultern und drehte sich zum ID-Scanner
an der Haustür.
„Keine Ahnung. Aber ich kann es mir ja wenigstens
vornehmen, oder? Außerdem bist du sicher nicht zufällig hier.“
Es piepste leise, dann öffnete sich das Schloss mit einem
Klacken und Casey stieß die Tür wieder auf.
„Es könnte Zufall sein.“
„Reinbek ist so weit draußen, da kannst du fast nur
meinetwegen hier sein.“
Ludwig spürte wie seine Mundwinkel unwillkürlich nach
oben zuckten. „Willst du mir etwas unterstellen?“
„Unlautere Methoden“, sie ging durch den Flur vor, „ich
beschwere mich aber nicht darüber.“
Er folgte ihr, ließ die Tür vielleicht zu laut ins
Schloss fallen. Seine Schuhe hinterließen feuchte Abdrücke auf dem Parkett, die
er kurz anschaute, ehe er beschloss, dass er sie ignorieren konnte. Casey hatte
sich nie an solchen Kleinigkeiten gestört. Wie er sie kannte, wäre es ihr sogar
recht, wenn der von ihren Eltern so geliebte Boden ein wenig litt.
„Wohin gehen wir?“, fragte Ludwig, sodass Casey stehen
blieb.
„Ich weiß nicht.“ Sie schaute ihm direkt in die Augen, ihr
Gesicht wirkte ernst. „Wir können uns ins Wohnzimmer setzen und einfach reden.
Meine Eltern werden erst spät zurück sein, die merken das nie. Aber… genau
deshalb könnten wir auch erst nach oben verschwinden und danach reden.“
Er schluckte. In ihren Augen konnte er sehen, dass sie
ihm eigentlich keine Wahl geben wollte. Dass sie ihm damit gerade gesagt hatte,
was sie wollte. Erst ihr Zimmer und später miteinander reden. Was gab es da
nicht zu verstehen?
Ludwig schaute sich nervös um, während sie auf seine
Antwort wartete. Sie hatte gerade vorgeschlagen, was er sich viel zu bildlich
vorstellen konnte, weil er genau das wollte. Aber er hatte sich geschworen, sie
nicht wieder auszunutzen. Das erste, was sie nach so langer Zeit des Schweigens
taten, konnte nicht sein, in ihr Bett zu verschwinden!
„Sollten wir das wirklich tun?“, fragte er leise.
„Reden?“
„Nein, du weißt genau, was ich meine!“ Sie grinste, als
er auf die Provokation einging.
„Du wirst es schon aussprechen müssen, sonst kann ich
dich leider nicht verstehen. Du bist ein erwachsener Mann“ – er zuckte unter
den Worten fast zusammen, weil sie genau den Kern seines Problems trafen – „also
sprich es aus: Sollten wir Sex haben? Das meinst du doch, oder? Warum nicht?
Sag mir einen Grund, warum wir nicht miteinander schlafen sollten.“
„Du bist-“
„… zu jung. Nächstes Argument.“
„Tu das doch nicht einfach so ab, es ist mir ernst damit!“,
sagte er verzweifelt und strich sich mit der Hand durch sein kurzes Haar, „Es
ist vollkommen unmoralisch, dass ich überhaupt so von dir denke. Ich sollte
dich nicht so ansehen, ich sollte nicht so von dir denken. Aber es-“
Sie berührte ihn sanft am Arm und ließ ihn seine
Contenance vollends verlieren, wenigstens den letzten Rest, den er sich aufbewahrt
hatte.
„Trotzdem bist du hergefahren. Wenn du nur reden willst,
ist das auch okay, aber ich will dich im Arm halten können. Ich habe dich so
vermisst.“
Sie waren damals schnell Freunde geworden und noch vor
einem Jahr wäre es Ludwig nie eingefallen, dass er sich jemals in dieser
Position befinden würde. Was machte ein weiteres halbes Jahr denn in ihrer
persönlichen Entwicklung schon für einen Unterschied? Es wäre nur plötzlich vor
dem Recht in Ordnung, dass er sie liebte.
„Ich dich auch“, gestand er und griff nach ihrer Hand.
Ihre Finger waren kalt, das waren sie fast nie.
„Also“, sie lächelte ihn süß an, „die Couch oder mein
Zimmer?“
„Entscheide du.“
Die letzte Silbe war kaum verklungen, da zog Casey ihn
bereits zur Treppe. Er schluckte, sagte jedoch nichts weiter dazu, immerhin
konnte er schon spüren, dass seinem Körper ihre Wahl gefiel. Er würde sich ihr
hingeben, dieser Frau, die für ihn noch ein Kind sein sollte. Er würde wieder
mit ihr schlafen und sich über den Anblick der Kuscheltiere wundern, sobald sie
fertig waren. Aber das würde ihm egal sein, solang er nur bei Casey war.
Wie schön wieder was von den beiden zu lesen. :)
AntwortenLöschenIrgendwie leidet man mit ihnen, mit beiden. Obwohl der Text schön endet, hinterlässt er irgendwie einen bitteren Nachgeschmack, weil es einen nicht loslässt, wie Ludwig sich selbst quält und man schon erahnen kann, dass er sich danach mit Zweifeln plagen wird. Sehr schön geschrieben, Liebes! ♥
Es tut auch immer ein stückweit weh, sie zu schreiben. Weil nichts so schön ist, wie es sein sollte. Und selbst, wenn sie dann schließlich zusammen sind, halten sie es geheim, was alles nur kaputt macht. Es ist... schwierig mit den beiden. ;__;
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