Casey schaute zu wie ihre Kollegen den Konferenzraum
verließen, bis sie allein mit Ludwig war. Hinter ihnen lag die erste
Mitarbeiterbesprechung, die er als Vorgesetzter geführt hatte. Er wirkte müde,
als sie die Tür schloss, beobachtete sie jedoch aufmerksam.
„Gibt es noch etwas, das eben nicht zur Sprache gekommen
ist?“, fragte er zögerlich, während er den Knoten in seiner Krawatte lockerte.
„Du siehst im Anzug so anders aus.“ Er verzog das
Gesicht.
„Schlechter?“
„Hmmm… das muss ich mir noch überlegen.“
Ihr Grinsen erwiderte er nicht, er schaute eher
verunsichert. Casey seufzte.
„Ich will einfach Zeit mit dir verbringen. Darf ich das
nicht mehr, nur weil du jetzt mein Chef bist?“
„Das ist es nicht.“
„Was dann?“
Er schaute weg, atmete tief durch. Seine Schultern
entspannten sich ein wenig dadurch, was ihr erst deutlich machte, wie
verkrampft seine Haltung gewesen war. Ihm gefiel es wohl nicht, mit ihr allein
zu sein.
„Wir waren mal Partner, das ist noch gar nicht lange her.
Wir sind ein gutes Team, daran ändert meine neue Position nichts. Und mit dir
zu reden, gefällt mir, das weißt du doch. Es ist nur, dass das neulich“ – sie
fühlte wie ein Muskel in ihrer Wange zuckte – „nicht hätte passieren dürfen.“
Ein Teil von ihr stimmte ihm zu. Der Teil, der Angst
hatte ihn durch ein unbedachtes Wort zu verlieren. Der Teil, der durchspielte,
wie ihr Umfeld reagieren würde.
„Warum?“, fragte sie.
Der andere Teil war für den Moment stärker. Sie wollte
bei Ludwig sein, wollte sich wieder so selbstverständlich an ihn schmiegen –
und ihn schließlich mit ins Bett nehmen. Ihr Körper kribbelte noch immer, wenn
sie daran dachte.
„Es war nicht richtig von mir.“
„Aber du warst da doch noch gar nicht mein Chef!“ Wenn
auch nur knapp, aber das musste reichen.
„Casey“, sagte er langsam, „es ist doch vollkommen
unwichtig, welche Positionen wir hier innehaben. Aber du bist zu jung, egal wie
erwachsen du dich benimmst und fühlst.“
„Ich bin bald 18!“ Er rollte mit den Augen.
„Wir haben doch gerade erst deinen Geburtstag gefeiert!
Vor dem Gesetz bist du noch fast ein Jahr irgendetwas zwischen Kind und
Erwachsene. Ich bin erwachsen. Schon lange. Ich hätte es besser wissen müssen
als mitzumachen.“
Casey blieb erst einmal die Luft weg. Sie wusste genau, was
er meinte. Sie war ja nicht blöd. Er war mehr als ein Jahrzehnt älter als sie
und es gab genaue Vorschriften. Sollte bekannt werden, dass der Chef mit einer
minderjährigen Angestellten geschlafen hatte, war er die längste Zeit Chef
gewesen.
„Wenn wir es niemandem erzählen, ist es doch okay. Dann
können wir auch wieder Zeit miteinander verbringen. Wie früher.“
„Casey-“
„Ich vermisse dich nämlich.“
Seit sie miteinander im Bett gewesen waren, hatte er sich
in seine Arbeit vertieft und sie somit fast gar nicht mehr gesehen. Casey
fragte sich, warum Ludwig nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte – und eine
böse Stimme flüsterte ihr unermüdlich zu, er habe sie nur für den Sex ausnutzen
wollen.
„Ich vermisse dich doch auch“, sagte er leise, während er sich mit einer
verzweifelten Geste durch sein dunkelblondes Haar strich.
„Dann sind wir… noch Freunde?“
Freunde war weniger als vorher. Sie hatten sich gleich
unglaublich nahegestanden, trotz oder wegen ihres Altersunterschieds. Er hatte
ihr alles beigebracht, was sie als Gatherer wissen musste. Er hatte immer zu
ihr gestanden, sie unterstützt. Schließlich hatte er nachgegeben, als sie ihm
auf der heimischen Couch noch näher gekommen war. Ihre Eltern waren nicht da
gewesen und der zweite Film des Abends hatte sie nicht interessiert.
„Ich weiß nicht, ob ich das kann. nur mit dir befreundet
sein.“
Sie lächelte, doch dann zog sie die Stirn kraus. Erst
lehnte er sie ab, weil sie nicht volljährig war, und dann deutete er an, dass eine
Freundschaft zu wenig war? Das passte nicht zusammen!
„Du bist doch so schnell wie möglich verschwunden-“
„Weil das erste, was ich morgens gesehen habe, ein
verdammtes Kuscheltier war! Ich hab‘
die halbe Nacht nicht geschlafen, weil ich mir vorgeworfen hab‘, deine Jugend
ausgenutzt zu haben, und dann das! Ich konnte einfach nicht mehr! Deshalb
musste ich so schnell weg.“
Ludwig ging zum Ende des Tisches, dann wieder zurück und
schließlich stellte er sich vor Casey, die nicht wusste, was sie dazu sagen
sollte.
„Wenn ich dich ansehe, dann sehe ich kein Kind vor mir,
obwohl du noch eines bist.“ Sie öffnete schon den Mund zu einem Protest, doch
er schnitt jedes Wort ab, indem er seinen Zeigefinger auf ihre Lippen legte.
„Ich sehe immer die Frau vor mir, die ich liebe. Aber das sollte ich nicht.“
Das Blut wich aus ihren Wangen und sie machte einen
Schritt zurück. Diese drei kleinen Worte sollten sie glücklich machen und
machten es auch irgendwie. Aber die Angst war stärker. Die Angst, Ludwig
irgendwann auf diese so schönen Worte in gleicher Weise zu antworten und damit
den Fluch zu aktivieren, der ihm sein Leben nahm.
„Casey?“
„Du weißt von meinem Fluch!“, warf sie ihm böse vor, doch
ihre Stimme klang brüchig, „sag sowas bitte nie wieder.“
„Casey, ich…“, er machte einen Schritt vor und strich ihr
sanft über die Schultern, „bitte verzeih mir. Ich wusste nicht, wie ich es dir
sonst deutlich machen soll.“
„Aber du lügst mich nicht an, oder?“
Er lächelte milde. „Ich würde niemals grundlos etwas zu
dir sagen, das dich in Versuchung bringt, deinen Fluch zu aktivieren.“
Sie lehnte sich an ihn. „Aber wir können nicht zusammen
sein, solange ich zu jung bin?“
„Nur, wenn deine Eltern zustimmen.“
Casey verzog das Gesicht. Wenn sie ihre Eltern in etwas
nicht einweihen wollte, dann in ihr Liebesleben. Ihr Vater war ja schon beinahe
ausgeflippt, als ihm neulich sein Ehering in den Müll gefallen war und er auf
der Suche danach das benutzte Kondom jener einen Nacht mit Ludwig gefunden
hatte. Der sollte sich lieber freuen, dass Casey verhütete, statt sich über
ihre Geheimniskrämerei zu echauffieren.
„Was ist denn schon ein Jahr?“, fragte sie und konnte
sich schon vorstellen, dass Ludwig wieder mit den Augen rollte.
„Wir werden uns seltener sehen, weil ich mich als euer
Vorgesetzter einarbeiten muss. Wer weiß, ob du am Ende des Jahres überhaupt
noch etwas von mir willst.“
Sie legte ihre Hände in seinen Nacken und stellte sich
auf die Zehenspitzen. „Es ist ein Jahr, in dem ich dir zeigen kann, dass ich
ganz genau weiß, was ich will.“
Ein Jahr, um die Angst zu bekämpfen, die sie schon wieder
in ihren eisigen Klammergriff nehmen wollte. Ihre Gefühle für Ludwig waren ihr
klar, sonst hätte sie keine Schmetterlinge im Bauch, als er sich zu ihr beugte
und ihr einen Kuss gab, der nach einem Versprechen schmeckte. Er würde sie weiter
lieben, aller Vernunft zum Trotz. Gerade das stärte die Angst nur noch mehr. Im
Taumel der Empfindungen konnte Casey ein „ich liebe dich“ viel zu leicht
rausrutschen. Ludwig sollte nicht enden wie Joe und Neil und Leif. Sie wollte
ihn nicht deswegen verlieren.
„Was machen wir, wenn ich bis dahin umgezogen sein
sollte?“, fragte sie, kaum hatte er seine Lippen von ihren gelöst.
Er überlegte kurz. „Dann verbringe ich die Wochenenden
bei dir. Mit dir. Jedes einzelne.“
Sie gab ihm einen kurzen Kuss, dann zog sie ihn zum
Tisch, auf den sie sich setzte. Ihre Beine baumelten in der Luft wie bei einem
Kind. Im Moment war das okay. Sie konnte warten, war doch gar nicht so schwer,
schließlich lohnte es sich. Sehr. Sobald sie dann 18 war, in nur guten 9
Monaten, konnte sie jederzeit seine Nähe genießen, seine Arme spüren, Küsse von
ihm kriegen.
„Vielleicht sollte ich schon mal mit der Planung
anfangen.“
„Welche Planung?“
„Für meinen Geburtstag. Ich will den ganzen Tag und die
ganze Nacht mit dir verbringen“, erklärte sie, während sie seine Krawatte
vollständig löste, „nicht einmal meine Anwälte können dich dann noch verklagen,
weil die dann einsehen müssen, dass ihre Tochter auch vor dem Gesetz erwachsen
ist. Wenn ich schon jemanden finde, der so toll ist wie du, dann will ich mit
ihm keine Zeit verlieren…“
Mit einem tiefen Seufzer lehnte er seine Stirn gegen
ihre.
„Dieser kleine Vortrag wird mir das Warten nicht leichter
machen.“
„Es wird sicher nicht so hart wie du erwartest.“
Ich finde es schön, wenn ich mal die junge und etwas verspielte Casey nehmen kann. Wenn man daran denkt, dass sie es später ist, die sich nicht auf Ludwig einlassen will (habe ich hier auch mal im Zuge einer Challenge gepostet...), ist es erstaunlich, wie leicht sie die ganze Sache nimmt. Die Angst um ihn ist zwar da, bestimmt ihre Handlungen aber nicht so sehr wie zu ihrem 20. Geburtstag. Das heißt, sie lässt den armen Mann fast drei Jahre zappeln, da kann man ihn nur dafür bewundern, dass er sich nicht "einfach" eine andere Herzdame gesucht hat. ;__;
Ich bin mir nur nicht mehr sicher, was den Altersunterschied zwischen den beiden angeht. Den habe ich so oft geändert, dass die 16 Jahre aus dem alten Text inzwischen wahrscheinlich nicht mehr stimmen. Und anscheinend war damals geplant, dass er wesentlich später ihr Chef wird. Nun. Geschichten sind in einem ständigen Entwicklungsprozess.
Aww, was für ein schöner Text!
AntwortenLöschenDas mit den ständigen Änderungen kenne ich zu gut. Es gibt inzwischen so viele Versionen von Castaway *seufz* Aber ich war letztens ganz stolz zu sehen, dass die ersten Kapitel der "aktuellen" Version immerhin noch von 2009/2010 sind, wenn sich auch seit 2004/2005 unglaublich viel geändert hat.
Mir hat es auch gefallen Casey mal wieder so zu erleben! Ich erinnere mich noch so gut an die ersten Auszüge, die du mir geschickt hattest und wie wunderbar ich die Idee schon damals fand. ♥
Ach und Ludwig... Ludwig! :D
Ich fands schön, wie du die Szene beschrieben hast. Man konnte sich alles sehr gut vorstellen und sich richtig gut in Casey hineinversetzen. ♥
PS. Dankeschön für die Postkarte ♥
Bei mir ist es meistens, dass ich ein Detail ändere, das mich zwingt, den gesamten Anfang zu verändern. Dann verliere ich die Lust, weil ich den Anfang SCHON WIEDER angepasst habe - und dann ein anderes Detail tweake, damit die Story in ihrer Gesamtheit besser passt. Gehe nicht über Los, ziehe keine 10.000 Mark ein. xD
LöschenIch erinnere mich nur noch dunkel an die ersten Auszüge, aber ich weiß noch, dass Casey darin viel lockerer war. Weniger düster. Deshalb war es mal schön, sie endlichendlichendlich wieder so zu schreiben. Irgendwann ist ihr Optimismus wohl in Pessimismus umgeschlagen. Dabei war er von Anfang an nicht sonderlich stark. :/
<3 <3 <3