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[Überblick]

Ich fand, es ist mal an der Zeit, ein wenig Ordnung in die Challenge zu bringen. Immerhin ist es auch für mich schwierig geworden, immer die...

02.10.2016

[04 Card]

Oh, wie ich doch Tage hasse, an denen die Internetverbindung mit der Geschwindigkeit einer Schnecke arbeitet. So wie heute. Und gestern. Und eigentlich andauernd in den vergangenen zweieinhalb Wochen. Wenn sogar Google fünf Minuten braucht, um sich aufzubauen, oder sofort eine Fehlermeldung auftaucht, die behauptet, es bestünde gar keine Verbindung.
Aber davon wollen wir uns nicht runterkriegen lassen.
Hier endlich der nächste Beitrag zur Challenge, der ein wenig länger geworden ist, als geplant war. Und bei dem auch irgendwann das Thema vollkommen unter den Teppich gekehrt wurde. Daran kann ich nichts ändern.


Sie haben Bernie!
Elrica wischte sich Tränen von den Wangen, als sie durch den kleinen staubigen Schacht krabbelte. Auf allen Vieren bahnte sie sich in vollkommener Dunkelheit ihren Weg durch diesen einstigen Fluchtweg königlicher Kinder. Ihr Weg führte sie entgegen der gedachten Richtung direkt hinein in den Palast.
Eine grobe Karte mit der Raumaufteilung steckte in einer Hosentasche, damit Elrica später auch fand, was sie finden sollte. Nicht die Kronjuwelen, das hatte sie sehr beruhigt, sondern nur drei Löffel. Drei ganz bestimmte Löffel, die vor zweihundert Jahren mit den Wappen des zu der Zeit herrschenden Königs und seiner beiden engsten Getreuen versehen worden waren.
Das war ein bedeutenderes Vergehen als einen Cottagebesitzer um ein Stück Käse zu erleichtern, doch für Bernie würde Elrica noch viel mehr tun. Dennoch wummerte ihr Herz. Diebe wurden auf die unterschiedlichsten Arten bestraft. Diebe an der Krone jedoch verloren ihre Leben statt ihrer Hände.
Elricas Finger stießen auf einen Wiederstand, der hoffentlich der Ausgang dieses Tunnels war. Sie tastete ihn ab und überlegte, ob sie ihn wirklich öffnen sollte. Es war kein Feriendomizil eines Landadeligen, in das sie einbrach, es war der Royal Palace, das Herz des Empires. Bestimmt war jeder Ein- und Ausgang von den ehrenwerten Brüdern mit Zaubern belegt worden, die warnen oder schützen sollten. Es konnte sein, dass sie versuchte in den Palast zu gelangen und am nächsten Morgen als verkohlte Leiche gefunden wurde.
Ihr blieb keine Wahl, solange Bernie nicht wieder sicher zuhause war.
Sie tastete die Fläche an den Rändern nach einer Aussparung ab, in der sich der Öffnermechanismus verborgen hielt. Ihr war es erst unlogisch erschienen, einen Fluchtweg auch von innen mit einem Öffner zu versehen, wo er doch eigentlich nur nach draußen führen sollte. Doch man hatte ihr erklärt, dieser Tunnel sei später von Mägden benutzt worden, um heimlich zu ihren Liebhabern zu verschwinden – und die hatten jemanden beauftragt, den Gang auch von innen mit einem Öffner zu versehen.
Schließlich fand Elrica ein kleines Rädchen und drehte daran. Mehrere Zahnräder griffen hörbar ineinander, was in der Stille laut klang, so dass sie den Atem anhielt. Einige Sekunden lauschte sie dem Klackern, ehe sich die Tür wie von Geisterhand öffnete. Vorsichtig steckte Elrica den Kopf hindurch und schaute sich zu allen Seiten um. Der Raum war klein und nur vom schwachen Mondlicht, das durch ein winziges Fenster herein drang, erhellt. Staub tanzte träge in der Luft. Elrica zog sich aus dem Tunnel und rappelte sich begleitet vom Rascheln ihrer Kleidung auf. Sie klopfte ein wenig Dreck von ihrem Körper. Neben ihr standen Besen, Schrubber und Eimer, auf der gegenüberliegenden Seite des Raums war ein großes Regal mit einer Vielzahl Utensilien, die sich bei genauerer Betrachtung als Werkzeuge entpuppten. Aber keine Löffel.
Mit ihrer Karte in der Hand stellte sie sich so nah es ging an das kleine Fenster, um sich die Raumaufteilung in Erinnerung zu rufen. Sie war irgendwo am südlichen Ende des Palasts, wo sich alles befand, was eine gewisse Ausstrahlung vermissen ließ. Alles Hässliche und Alltägliche wie die Schlafräume der Angestellten, die Küche und ähnliches. Das hieß für Elrica, dass sie ganz in der Nähe einer Menge Leute war, die beim leisesten ungewöhnlichen Geräusch sofort Alarm schlagen würden. Elrica drehte die Karte mehrfach und versuchte sich so den Weg besser einzuprägen. Dann faltete sie die Karte wieder zusammen, ließ sie in einer Hosentasche verschwinden und ging leise aus dem Raum hinaus.
Zur linken Seite waren nur die Bäder der Dienerschaft, dorthin musste sie sich nicht wenden. Also ging sie rechts herum, von wo sie etwas klappern und einige Männer laut miteinander reden hörte. Um einzelne Worte auszumachen, war sie zu konzentriert darauf, möglichst keinen Mucks von sich zu geben. Sie musste ein Wiesel sein. Schritt für Schritt bahnte sie sich ihren Weg durch den wenig erhellten Korridor und hielt zum ersten Mal an, als sie den Raum erreichte, der Quell des Lärms war. Die Tür stand offen und Licht drang zusammen mit dem Geruch von Bier hinaus.
„Oi, du betrügst doch irgendwie!“, sagte ein Mann anklagend.
„Nee, sicher nicht“, beteuerte ein zweiter.
„Warum gewinnst du dann immer?“, fragte ein weiterer Mann, der klang, als habe man ihn gerade aus dem Bett geholt.
„Tu ich gar nicht!“
„Ich rede dir nicht gerne rein, aber das tust du doch.“
Elrica lauschte noch einen Moment den aufgeregten Stimmen der Männer, die sich anscheinend zu viert zu einem Kartenspiel und einem oder auch zwei Gläschen zusammengefunden hatte. Die feinen Haare in ihrem Nacken stellten sich auf, weil ihr etwas an der letzten Stimme bekannt vorkam, ohne dass sie sie zuordnen konnte.
Kurz schaute sie in den Raum, die Küche, hinein und konnte beinahe fühlen, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel, weil sie wohl niemand sehen konnte, wenn sie nur zwei Rücken sah. Als sie sicher war ungesehen zu bleiben, schlich sie an der offenen Tür vorbei. Kalter Schweiß lief ihr über den Nacken. Sie zwang sich dazu, den Worten der Männer keine Aufmerksamkeit mehr zu schenken, obwohl das bedeuten würde, genau zu erfahren, ob einer sie gesehen hatte. Aber sie war auch so schon nervös genug. Man hatte sie schon nicht gesehen, sonst wäre sogleich Alarm geschlagen worden.
Die ganze Nervosität, das wild hämmernde Herz – alles nur für Bernie.
Also setzte Elrica ihren Weg durch die Gänge des Palastes fort und hielt nur einmal kurz an, um ihre Position auf der Karte zu überprüfen.
Die Bereiche der Angestellten wichen prächtigeren Fluren mit marmornen Böden und Läufern, die bei besserem Licht sicher rot aussahen. Von den Wänden starrten so viele Gesichter, dass Elrica bang wurde. Waren hinter den Gemälden vielleicht Wachen in den Wänden versteckt, die sie beobachten konnten? Derartiges war nicht im Plan verzeichnet, dessen Quelle und Genauigkeit jedoch auch weiterhin fraglich war. Deshalb wollte Elrica diese Möglichkeit nicht vorschnell abschreiben, schließlich ging es bei solchen Maßnahmen um die aktuellen und zukünftigen Herrscher.
Da sie sich vor den vielen Portraits nicht in Sicherheit bringen konnte, blieb ihr nichts weiter, als dem Flur zu folgen, ohne Geräusche zu machen. Der Läufer war dabei sehr hilfreich. Dennoch ging sie ein wenig schneller als zuvor, hörte das Blut in ihren Ohren rauschen.
Die wenigen Minuten bis zu ihrem Ziel zogen sich wie ein besonders zäher Teig, doch schließlich hielt sie an einer Ecke an, hinter der der gesuchte Raum sich befinden musste. Sie fischte einen kleinen Spiegel aus ihrer Hosentasche, putzte ihn so gut es ging mit ihrem Ärmel und hielt ihn ein Stückweit in den Gang um die Ecke. Zwei Wachen taten ihren Dienst, ohne sonderlich motiviert zu wirken. Aber sie würden Elrica auf jeden Fall sehen und niederringen, das war schließlich ihre Aufgabe.
Was konnte sie nur tun, damit sie an den beiden Herren vorbei zum Raum mit den Löffeln gelangen konnte?
Der Lageplan sagte nicht genau, in welchen Raum sie hinein musste. Es konnte nur einer der fünf sein, vor denen die Wachen positioniert waren, also mussten die Herren weggelockt werden. Elrica schaute sich hektisch um. Sie musste eine Ablenkung schaffen und beten, dabei nicht gefasst zu werden. Nur wenn beide Männer von Neugier getrieben ihren Posten verließen, hatte sie überhaupt den Hauch einer Chance.
Ein Stück in die Richtung, aus der sie gekommen war, standen Vasen auf Tischen. Wenn diese zu Boden geworfen wurden, machten sie sicher genug Lärm, um als Ablenkung zu dienen. Elrica würde sich in einem Türrahmen verstecken und dann laufen, als wäre der Teufel hinter ihr her. Es war kein guter Plan. Eigentlich war es ein selbstmörderischer Plan. Aber Elrica ging zum Tisch und hob die erste filigrane Vase an. Sie war mit einem hauchfeinen goldenen Muster verziert und viel schwerer als erwartet. Wahrscheinlich kostete sie genug, um eine gesamte Familie für einige Wochen satt zu kriegen.
Elrica schloss die Augen, weil sie nicht sehen wollte, wie die Vase gegen die anderen stieß und alle zusammen in tausend Stücke zerbarsten. Jetzt nur noch Schwung holen und-
Eine Hand legte sich auf ihren Mund, eine zweite zog sie gegen einen fremden Körper. Vor Schreck erstarrte sie.
„Mach dich nicht unglücklich, Elrica“, hauchte die Stimme des vierten Mannes aus der Küche in ihr Ohr, sodass sich wieder die Härchen in ihrem Nacken aufrichteten. „Ich lasse dich alles Essen mitgehen, das du brauchst; aber Zerstörung hoheitlichen Eigentums ist eine Nummer zu groß für dich.“
Christopher Pierce!
Mit einem Mal fühlten sich alle Muskeln in ihrem Körper an, als wären sie aus Wasser. Die Vase entglitt ihrem Griff und zerschellte nur nicht, weil Christopher sie gerade noch zu fassen bekam. Elrica sank auf den Boden, während er die Vase wieder an den richtigen Platz stellte.
Sie war unvorsichtig gewesen. Man hatte sie erwischt. So würde sie niemals zu den Löffeln kommen und Rowan würde Recht behalten, weil er das gesamte Vorhaben als Himmelfahrtskommando bezeichnet hatte. Bernie kam nie wieder frei, wenn sie diese verdammten Löffel nicht bekam!
Sie hörte das Rascheln von Kleidung und begriff erst, dass Christopher sich neben sie gesetzt hatte, als er ihr einen Arm um die Schulter legte. Vorsichtig wischte er über ihre Wange, um Tränen aufzufangen, die sie nicht mehr zurückhalten konnte. Sie hasste weinen. Vor ihm zu weinen hasste sie noch mehr. Mit jeder neuen Träne zuckte ihr Körper unkontrolliert und ließ sie mehr von sich preisgeben, als sie wollte.
„Ganz ruhig. Du bist eine Kuchendiebin, nichts weiter. Was auch immer dich hergebracht hat – das bist nicht du.“
„Du verstehst das nicht!“
„Dann erklär es mir.“
Sie schaute ihn verwirrt an. Seine kleinen Augen wirkten ganz anders als beim letzten Mal. Se waren weit geöffnet und funkelten nicht vor Belustigung. Als würde ihn diesmal wirklich interessieren, was sie zu sagen hatte.
„Ich weiß nicht…“, sagte sie ganz leise, sodass er mit dem Kopf noch ein Stück näher kam, um sie zu verstehen.
„Ja?“
„Ich-“
Schlagartig schaute er von ihr weg, was sie nur noch mehr verwirrte. In einer fließenden Bewegung zog er sie auf seinen Schoß und murmelte etwas, das sie nicht richtig ausmachen konnte, jedoch wie ein Fluch klang. Ihr Körper begab sich in eine Schockstarre.
„Spiel mit“, raunte Christopher ihr zu, als er ihr über den Rücken strich und seine zweite Hand unter ihr Oberteil rutschen ließ.
„Aber-“
„Da kommt jemand, der dich besser nicht ohne… Begründung… hier sehen sollte. Es tut mir leid, Elrica, bitte glaub nicht, ich würde das hier tun wollen.“
Sie wusste gar nicht, ob sie beruhigt oder empört sein sollte, doch es gelang ihr, ihre Muskeln ein wenig zu lockern, um nicht vollkommen starr auf ihm zu sitzen. Kurz darauf ertönte ein Pfiff, bei dem Christopher sogleich von ihr abließ. Er schaffte es, verlegen zu den beiden grinsenden Männern zu schauen, die nun bei ihnen standen.
„Jeff, was haben wir denn da?“
„Eine Dame“, erwiderte Christopher ein wenig zu ruhig für jemanden, der gerade bei einem geheimen Stelldichein erwischt worden war. Der Gedanke trieb Blut in Elricas Wangen, was die Wachen nur noch mehr grinsen ließ.
„Jetzt wo du’s sagst… ich dachte erst, du hättest dir einen kleinen Liebhaber geangelt“, meinte derselbe Mann wie zuvor, ein mittelgroßer Typ mit feinem Haar von der Farbe einer Karotte.
Der Mann daneben warf Elrica einen anzüglichen Blick zu, was sein hübsches Gesicht sogleich unsympathisch machte. „Sieht ja auch so aus, die Kleine.“
Elrica öffnete schon den Mund, um die beiden Kerle zusammenzustauchen, doch Christopher zog sie wie zum Schutz an sich. Seine Muskeln waren hart vor Anspannung.
„Lasst mich doch einfach in Ruhe, wir suchen uns ja schon einen leeren Raum.“
Der rothaarige Wachmann hob vielsagend die Brauen, sein Kollege kicherte. Christopher zog Elrica mit sich auf die Beine und führte sie an der Hand den Gang hinunter, den sie zuvor gekommen war. Jeder Schritt brachte sie weiter von den Löffeln weg. Könige der Vergangenheit schauten höhnend aus ihren Rahmen dabei zu.
Sie achtete nicht darauf, wohin sie gebracht wurde. Erst als eine Tür hinter ihr geschlossen wurde, guckte sie Christopher wieder an. Sein Gesicht wirkte nüchtern, seine Muskeln lockerten sich nicht.
„Christopher“, versuchte sie es, wusste aber nicht weiter. Was sollte sie ihm schon sagen? Er war ein Pierce-Erbe – trotz seiner Scharade. In seinem Leben gab es keinen Hunger, kein Leid. Keine entführten kleinen Brüder.
„Wenn Fred und Noel zuerst bei dir gewesen wären, würdest du in den Kerker geworfen werden!“
„Ich weiß.“
„Wenn ich dir nicht gefolgt wäre, hättest du diese Vase zerstört und dir auch noch das Vergehen auf deine Kappe schreiben müssen.“
„Ja…“
Er befeuchtete seine Lippen, ließ den Blick kurz schweifen.
„Ich dachte, du stiehlst Essen von denen, die genug haben, um deine Familie satt zu kriegen. Hab ich mich getäuscht? Hätte ich dich doch den Wachen überlassen sollen?“
Ein Schauer überkam sie bei der Erinnerung an ihre Gedanken vor einigen Wochen im Wald. Er hatte sie laufen lassen und sie schon damals auf seine Weise gerettet.
„Das wirst du niemals verstehen“, antwortete sie leise.
„Versuch es.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und machte einen halben Schritt zurück. Er seufzte.
„Soll ich wieder anfangen?“, fragte er, während er sich auf den Boden setzte, „Was willst du wissen?“
Vorsichtig nahm auch sie Platz und zog die Knie an die Brust. Es gab nichts, das er ihr erzählen konnte. Er spielte wohl auf Zeit. Also spielte sie vorerst mit. „Wieso bist du hier?“
„Ah, gute Frage. Wieso bin ich hier? Du glaubst bestimmt, ich muss verrückt gewesen sein, mein Leben für dieses aufzugeben, und vielleicht war ich das auch. Aber ich bin zum ersten Mal wirklich meinem Bauchgefühl gefolgt. Seit Alexis weg ist“, er schaute sie fragend an und fuhr erst fort, als sie nickte, „Seit er weg ist, habe ich mich gefragt, warum er gegangen ist, ohne es jemandem zu sagen.“
„Er ist weggelaufen?“
Was für ein Idiot! Als Pierce standen ihm alle Türen offen, selbst als drittgeborener. Alexis hätte alles haben können, was sein Herz begehrte, schließlich war er in Reichtum hinein geboren worden.
„Offiziell natürlich nicht. Aber ich habe meinen offiziell-nicht-weggelaufenen Bruder zufällig getroffen. Hier. Er ist jetzt Postbote und das hat mich ins Grübeln gebracht. Warum? Was soll das? Er hat ein Leben aufgegeben, für das andere alles tun würden. Er hat das mit Füßen getreten, was zwei Generationen aufgebaut haben und was bald an die dritte weitergegeben wird.“ Christopher lächelte. „Irgendwann hab ich mich gefragt, ob es vielleicht genau das ist. Alec hat nie ins Unternehmen gepasst. Nie. Vielleicht ist er bei der Royal Mail wirklich glücklicher. Vielleicht wäre ich in der Nähe meines Bruders als einfache Palastwache noch ein Stück zufriedener.“
„Bist du es?“
„Mir fehlt der Luxus“, gab Christopher grinsend zu, „ansonsten… alles hat Vor- und Nachteile.“
Sie nickte, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, inwiefern jemand wie sie es besser haben sollte als die Reichen.
„Jetzt frage ich mich aber, wieso jemand von einer Kuchendiebin zur Palaststürmerin umsteigt. Noch dazu ohne ausgereiften Plan. Woher der Sinneswandel?“
„Das ist doch egal. Diesmal musst du mich ausliefern und dann kümmert sich niemand mehr um die Gründe.“
Es war Elrica auch gleich. Ohne die Löffel musste sie nicht zurückkommen, das hatten die Entführer deutlich gemacht. Sie erinnerte sich noch an das Schreien und Wimmern von Bernie, als die Kerle seine linke Hand gegriffen und langsam ein Stück vom kleinen Finger abgeschnitten hatten, um Elrica zur Kooperation zu bewegen. Wenn sie die Löffel nicht aus dem Palast holte, verlor Bernie mehr als einen Finger.
„Mir ist es nicht egal.“
„Was kannst du schon ausrichten, Jeff?“, fragte sie nicht halb so herausfordernd wie gewollt.
„Lass es mich doch wenigstens probieren.“
„Ich bin kein Projekt. Ich bin… kein neuer Kochlöffel, den man auf den Prüfstand stellt und wegwirft, wenn er nicht funktioniert. Ich habe ein Problem, aus dem ich mir nur allein helfen kann. Warum sollte ein Pierce mir überhaupt helfen wollen?“
Christopher öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder. Seine Stirn lag in Falten.
Elrica setzte sich in den Schneidersitz und betrachtete ihn. Der Schmutz auf seiner Uniform kam bestimmt von ihrer Kleidung. Auf seinem linken Handrücken heilte eine kleine Wunde. Am interessantesten waren seine Augen, zu klein und zu dicht beieinander, die Farbe ein heller Ton, der weder richtig grün noch blau war, jedenfalls in dem spärlichen Licht.
„Ich weiß nicht. Ich… keine Ahnung. Es ist einfach so ein Gefühl. Ich meine… ich hab dich erst einmal vorher gesehen, aber ich will nicht, dass dir etwas passiert, Elrica.“
Sie reckte das Kinn. „Ich brauche keinen Beschützer!“
„Dann einen Freund“, sagte er leise, ganz leise.
Etwas in ihr regte sich, ließ sie wieder rot sehen. „Du bist ein Pierce“, es klang wie Kakerlake, „Was glaubst du denn, wie wir befreundet sein können, hä?“
„Du traust mir nicht“, er legte den Kopf schief, „du willst nicht mit mir reden, weil du mir nicht traust, oder? Ich hab dich doch schon mal gehen lassen! Würde ich es wollen, könnte ich dich augenblicklich schnappen – und es wird ein ganz kurzer Prozess folgen, an dessen Ende du tot bist. Ist es das, was du willst?“
„Es ist nur…“ Sie schloss die Augen, rieb sich über die Nasenwurzel. „Tot bin ich auch, wenn ich nicht finde, wofür ich hier bin.“
Seine Brauen gingen nach oben und er rückte an Elrica heran, sodass sich ihre Knie berührten.
„Was hat man gegen meine kleine Kuchendiebin in der Hand?“
„Nichts.“ Bernie! Sie wollte es schreien, wollte toben, wollte diese verdammten Löffel finden, statt wertvolle Minuten mit Christopher zu verplempern. Einen Moment wartete er noch ab, dann stand er auf.
„Was sollst du denn holen?“
Elrica rappelte sich auf. „Was?“
„Was du holen sollst? Ich helfe dir so gut ich kann.“
Sie schaute ihn mit großen Augen an und erwartete, dass er begann zu lachen. Doch er lachte nicht.
„Guck mich nicht so an. Ich traue dir. Wenn du etwas stehlen musst, hat das einen Grund – wie beim Kuchen auch. Dass du nicht mit mir darüber reden willst, ist okay. Nur lass mich dir helfen.“
Alle Muskeln in ihrem Körper spannten sich an. Das konnte nur eine Falle sein. Ein Pierce konnte keiner nebulösen Gestalt wie ihr helfen wollen, nicht seiner altruistischen Ader zuliebe.
„Ich will nicht in deiner Schuld stehen“, sagte sie kalt und drehte sich um. Sie kam keine drei Schritte weit, da griff er sie am Arm und hielt sie auf.
„Tust du das dann nicht schon?“
„Ich habe nicht um deine Hilfe gebeten! Da schon nicht!“
Er seufzte. Dann packte er härter zu, drängelte sie gegen die geschlossene Tür und hielt sie dort fest, sodass sie ihn anschauen musste.
„Sei doch nicht so stur“, presste er zwischen zusammengebissen Zähnen hervor.
„Was sonst? Rufst du deine Freunde, um die Drecksarbeit für dich zu machen? So macht ihr Reichen das doch immer, um eure Finger nicht schmutzig zu machen!“
„Du hast keine Ahnung von meinem Leben!“
„Und du kannst gerne weiter Wache spielen, aber du wirst niemals verstehen, wie es ist in meiner Haut zu stecken!“
„Elrica-“
„Wieso willst du mir überhaupt helfen? Ist das ein Wettbewerb mit deinem Bruder? Wer am meisten Gewöhnlichen hilft?“
„Lass es mich doch einfach tun! Es kann doch nicht so schwer sein!“
„Dann sag mir, was du davon hast! Wieso willst du mir helfen, ohne mir auch nur einen Grund zu geben, dir zu trauen?“
Christopher ließ sie los und machte einen Schritt zurück. Sie widerstand dem Drang über die Stellen zu streichen, an denen er sie gepackt hatte.
„Vorhin… du bist verzweifelt, das habe ich gesehen. Hättest du diese Vase kaputt gemacht, wärst du entdeckt worden, noch bevor du ein Versteck gefunden hättest, und“, er holte tief Luft, strich sich durch sein kurzes Haar, „ich hab dir schon gesagt, dass ich nicht weiß warum, aber das zu sehen, hat mir nicht gefallen.“
„Das reicht mir nicht“, stellte sie ruhig fest.
Ein Ausdruck huschte über sein Gesicht, zu schnell, um ihn richtig deuten zu können. Trauer? Schmerz? Elrica wunderte sich noch darüber, als Christopher einen weiteren Schritt zurückging.
„Ich wünschte, du würdest mir vertrauen“, sagte er leise, seine Stimme ungewohnt rau.
Irritiert hob sie die Hand und wollte ihm über den Arm streichen, wie sie es bei Rowan oder Bernie täte. Doch sie ließ die Hand wieder sinken.
„Wenn Wünsche reichen würden, wäre ich jetzt gar nicht hier.“
Er schaute sie an und diesmal war die Trauer ganz klar auf seinem Gesicht zu erkennen.
„Du musst gar nicht versuchen, mich mit Stimmungsschwankungen weichzukochen. Ich kenne diese Tricks von meinem kleinen Bruder. Das wird nicht-“
Als Christopher wieder auf sie zukam, brach sie ab, weil der misstrauische Teil in ihr erwartete, dass er sie wieder packte oder sogar schlug. Doch das tat er nicht. Stattdessen sank er vor ihr auf die Knie und umfasst ihre Hand, als sei sie zerbrechlich. Was bei der Kraft, die er aufwenden konnte, sicher auch der Wahrheit entsprach.
„Bitte, Elrica, lass mich dir bitte helfen. Ich würde es nicht ertragen, wenn dir etwas passiert, und ich mir immer wieder vorhalten muss, dass ich es hätte verhindern können. Ich bitte dich.“
Es drehte sich also gar nicht um sie! Elrica zögerte. Christopher war wie alle anderen ein Egoist. Dennoch hatte sie ohne ihn so gut wie keine Chance, jemals auch nur einen der Löffel zu sehen, geschweige denn mitzunehmen.
Ihre Hand kribbelte. Sie musste ihre dünne Chance nur richtig nutzen, oder aber…
„Wie soll ich meine Schuld bei dir denn je wieder begleichen?“
Er schüttelte den Kopf. „Du hast von Schuld gesprochen, nicht ich. Sieh das hier einfach als Ausgleich dafür an, dass ich eine Kuchendiebin mit Toffees versorgt habe.“
Dass diese Rechnung nicht aufging, wusste er sich so gut wie sie. Trotzdem merkte Elrica, wie ihr Widerstand durch diesen taktisch günstig gelegten Kniefall ins Wanken geriet. Christopher konnte ihr helfen Bernie zu befreien. Das war es ihr wert – und wenn sie sich damit für immer durch Schuld an ihn band.
„Nun gut“, sagte sie langsam, „Ich suche drei Löffel.“

2 Kommentare:

  1. Oh Gott, oh Gott, es ist so wunderbar! :D
    Ich bin richtig nervös gewesen und hab mitgefiebert.
    Irgendwie hatte ich so ein Gefühl, dass Christopher das war, den sie gehört hat und dass er ihr auf die ein oder andere Weise wiederbegegnen würde/Ihr helfen würde.

    Ich hoffe, dass es bald noch mehr von den beiden zu lesen geben wird. Ich bin im Rausch. Die Geschichte und deine Charaktere sind einfach wundervoll!

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    1. Vielen Dank für den lieben Kommentar, ich freu mich immer so, wenn du etwas zu meinen Sachen sagst. :'D

      Es hat leider viel zu lang gedauert, das hier endlich abzutippen. Ich weiß gar nicht, wie viele Tage/Wochen es schon fertig war, ohne dass ich Zeit hatte, den "Kram" vom Block auf den Computer zu übertragen. Ich gelobe Besserung. Oder auch nicht.

      Ich versuche auf jeden Fall noch mehr zu den beiden zu schreiben. Da schwingen eindeutige Vibes mit, wenn sie interagieren (oder das ist mein altes Shipper-Herz, das da zu sehr klopft).

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