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[Überblick]

Ich fand, es ist mal an der Zeit, ein wenig Ordnung in die Challenge zu bringen. Immerhin ist es auch für mich schwierig geworden, immer die...

07.08.2016

[02 Rain]

Dieser Text war nun bestimmt schon fast 2 Wochen in meinem Collegeblock fertig und wartete nur noch darauf, abgetippt zu werden. Aber wie das so ist mit der Faulheit, hat sich alles ein wenig verzögert. Der dritte Teil der Challenge ist auch per Hand bereits fertig, also muss ich mich nur noch an den Rechner schwingen und alles dort verdigitalisieren. Man darf gespannt sein, wann das geschieht.



Das Atmen fiel ihm schwer. Er hatte geahnt, dass etwas geschehen würde, sobald er den Schutz der Stadt verließ, die ihm lange Heimat gewesen war. Zu lange. Die Wochen waren irgendwann zu Jahren verschwommen, dann zu Jahrzehnten, schließlich jedoch zu Jahrhunderten. Nun fühlte er sich, als würde die Natur sich zurückholen, worum sie betrogen worden war. Natürlich wusste er, dass das nur Unsinn sein konnte, schließlich wäre er dann innerhalb weniger Sekunden zu Staub zerfallen. Seine Alterung, die einst angehalten worden war, lief jetzt, da er den Dunstkreis seines Königs verlassen hatte, mit normaler Geschwindigkeit weiter.
Was ihm jedoch zu schaffen machte, war der Zauber, der ihn an die Stadt binden sollte. Statt ihn komplett zu lösen, hätte er ihn nur stark abgemildert, was wohl nun seinen Tribut forderte. Auf irgendeine Weise musste er für jeden Schritt zahlen, den er sich ohne Erlaubnis entfernte, und wie es aussah, schlug ihm sein Ungehorsam auf die Lunge. In seinem Kopf fand er keinen Weg etwas dagegen zu unternehmen, denn trotz seiner Erfahrung als Doktor war ihm niemals ein Fall untergekommen, der es erforderte, einen Zauber mit einem Gegenzauber zu lösen, um Krankheiten zu vertreiben. Nein, er hatte sich um die alltäglichen Dinge gekümmert wie Geburten und Schnupfen und gebrochene Arme.
Er wusste, dass er sich nur hätte in Geduld üben müssen. Noch ein wenig mehr Zeit und er hätte den Zauber gänzlich gelöst. Was waren schon ein paar Jahre mehr, wenn man schon viele Dekaden am selben Ort verbracht hatte, ohne jemals tätig zu werden. Es hätte nicht schwer sein sollen, ein weiteres Jahr auszuharren. Aber sie war geschehen. War mit ihren großen unschuldigen Augen in sein Leben getreten und hatte sich nicht damit abfinden können, in einer Stadt gefangen zu sein. Ihr war die Flucht gelungen, vor der sie ihm noch diesen Floh ins Ohr gesetzt hatte. Er brauchte sie, deshalb hatte er der nagenden Erinnerung an ihre sanfte Stimme einfach zu früh nachgegeben.
„Folge mir.“
Er hatte mit sich gerungen, gekämpft, aber er wollte ihr folgen, wollte sie wieder in seinem Leben wissen. Sie war als seine Schülerin zu ihm gekommen und auf gewisse Weise als seine Lehrerin gegangen.
Um wieder ein wenig besser Luft zu bekommen, blieb er an einem Baum stehen und lehnte sich an. Endlich konnte er die neuen Eindrücke auf sich wirken lassen, da er zuvor zu sehr damit beschäftigt war, Distanz zur Stadt zu gewinnen. Diese Welt außerhalb der Stadtgrenzen war einst seine Heimat gewesen, in der er von Ort zu Ort gewandert war, wie es ihm gepasst hatte. So einige Abenteuer lagen hinter ihm, einige Mädchenherzen waren gebrochen worden und Sachen schnell gepackt, weil die Familien sich das nicht gefallen lassen wollten. Bis etwas geschehen war, das ihn vertrieben hatte. Weg aus dem wahren Leben und hinein in diese Stadt, in der alles vorerst besser zu sein schien. Ein Ort, wo man ihn akzeptierte und brauchte, weshalb der König ihn nicht mehr gehen lassen wollte.
Er war letztendlich entgegen ausdrücklicher Wünsche gegangen und wusste nun nicht, was er machen sollte. Er kannte nichts und niemanden mehr in dieser Welt, außer ihr, doch sie zu finden könnte ein wenig Zeit in Anspruch nehmen. Bis dahin galt es über die Runden zu kommen und wahrscheinlich auch den Kontakt zu anderen vorerst zu meiden. Diese Welt mochte der von damals sehr ähnlich sehen, doch er wusste nicht einmal, in welchem Königreich er sich gerade befand, noch wer dessen Herrscher war. Für ihn waren diese Dinge nicht mehr von Belang, für andere vielleicht schon. Also würde er sich abseits der Wege aufhalten und Städte nur betreten, wenn diese laut und voll waren, damit er in der Masse untergehen konnte, ohne wie ein fauler Apfel sofort aufzufallen.
Vorerst blieb er ohnehin in diesem lichten Wäldchen, um seine neue Freiheit zu genießen. Endlich sah er wieder frisches Grün, hörte Vögel, erspähte andere Waldtiere. Seine Lunge rasselte. Wenn es ihm nur vergönnt sein sollte, einige Stunden aus seinem selbst gewählten Gefängnis zu entkommen, ehe er starb, dann war es das wert gewesen. Im anderen Reich würde er ihr schon wieder begegnen.
Bei dieser Erkenntnis lachte er kurz auf, hustete dann. Die Angst vor dem Tod war es doch erst gewesen, die ihn in die Wüste getrieben und dafür gesorgt hatte, dass er nicht mehr dazu fähig gewesen war zu altern. Die Ewigkeit war einst verlockend gewesen. Doch in dieser statt hatte er nicht mehr richtig gelebt, sondern nur noch existiert. Zu viele derer, denen er auf die Welt geholfen hatte, waren in seinen Armen an Altersschwäche gestorben; Freunde mit den Jahren vergangen. Das nicht an sich heranzulassen, war ihm nie richtig gelungen.
Er stieß sich vom Baum ab und setzte seinen Weg mit unsicheren Schritten fort. Alles drehte sich. Etwas Feuchtes fiel in seinen Nacken, doch er brauchte einen Augenblick, ehe er erkannte, was es war. Sein Blick ging hinauf zum Himmel, der sich zusehends verdunkelte. Aus den Wolken, die wohl versuchten die Sonne auszusperren, fielen weitere Tropfen. Regen. Richtiger, echter Regen!
Er sank auf die Knie und konnte seinen Blick nicht mehr von dem abwenden, was über ihm geschah. Der Himmel wurde grauer, immer grauer und der Regen wurde so stark, dass er schon bald die ersten Tropfen wegblinzeln musste, die ihm in die Augen fielen. Wie lange war es her, dass nicht er es gewesen war, der Regen herbeigeführt hatte? Als Wassermagier war es ihm zugefallen, so gelegentlich die Wege zu befeuchten und für Regenbögen zu sorgen. Das Wasser war für die Wüstenstadt nötig gewesen, hatte jedoch auch der Belustigung gedient. Nur echt war dieses Phänomen nicht gewesen.
Nun jedoch mischten sich unter die Tropfen, die seine Wangen hinunterliefen auch Tränen. Er hätte damals bleiben sollen, nicht in die Wüste gehen sollen. Sein Leben wäre nicht einfach gewesen, da man ihm niemals verziehen hätte, von wem er abstammte. Vielleicht wäre er wegen seiner Herkunft wirklich ermordet worden. Doch bis dahin hätte er nicht auf die Natur verzichten müssen, auf Bäume und Tiere und richtiges Wetter.
„Mein Herr, seid Ihr wohlauf?“
Hinter ihm stand eine junge Frau in einem langen pfirsichfarbenen Gewand, das sie als Geistliche auszeichnete. Ihr blondes Haar trug sie für eine Frau ungewöhnlich kurz und ihre hellen Augen wirkten besorgt. Doch weder das noch das Korb in ihrer Hand ließen ihn bei ihrem Anblick stumm innehalten. Es war ihre Aura. Vertraut, fragil, freundlich, warm. Fast wie sie.
„Mein Herr?“, wiederholte die Geistliche ein wenig lauter, um gegen das Prasseln des Regens anzukommen, das weiter zunahm.
„Wie bitte?“
Sie ging einen Schritt auf ihn zu. „Geht es Euch gut? Kann ich Euch helfen?“
„Es ging mir seit Jahren nicht besser, danke der Nachfrage.“
Sie wirkte irritiert, enthielt sich jedoch eines Kommentars dazu. „Kann ich Euch trotzdem dazu einladen, ein wenig Schutz vor dem Regen zu genießen?“
„Aber ich mag ihn. Den Regen.“
Einen Moment sagte sie nicht, in dem sie ihn genauer in Augenschein nahm. Es gab ihm Zeit das Gefühl des Wassers auf der Haut zu spüren, was die Kräfte in ihm auf eine Weise ansprach, die ihm gefehlt hatte. Die Wüste war kein Ort für einen Wassermagier, das begann er nun zu begreifen. Umgeben von Wasser fühlte er sich trotz der Schmerzen in der Lunge wieder so lebendig wie früher. Er spürte sogar einen lange vergessenen Impuls durch seinen Körper ziehen, als er sah wie die Geistliche begann zu lächeln, sodass ihr gesamtes Gesicht erhellt wurde. Ein hübsches Ding, dieses Mädchen. In seiner Jugend hätte er sicher begonnen ihr den Hof zu machen, bevor er weiter auf Freiersfüßen durch die Lande gezogen wäre.
„Das verstehe ich gut, weil Regen wirklich sehr schön ist. Die Göttin hat Sorge getragen, dass wir etwas so Sinnvolles auch in seiner ganzen Schönheit anerkennen können. Doch bei all dem Genuss nähert sich dennoch ein Sturm. Mir wäre wohler Euch dabei im Schutz eines Gebäudes zu wissen.“
Er zögerte. Der Gedanke sich in die Hände von Geistlichen zu begeben, behagte ihm nicht, zu lange hatte er die Worte Der Schrift bereits nicht mehr gelesen. In der Wüstenstadt hatte es zwar Abschriften gegeben, doch diese hatten ihn nicht interessiert. Der Glaube war ihm verlorengegangen, obwohl er genau wusste, dass es die Göttin wirklich gab.
„Was werden Eure Schwestern sagen, wenn Ihr mit einem Mann zurückkommt?“
Sie legte ein geheimnisvolles Lächeln auf. „Dass jede gute Tat die Göttin erfreut.“
Er kniff die Augen ein wenig zusammen, um sie genauer in Augenschein nehmen zu können, als etwas an seinen Sinnen kitzelte. „Ihr fühlt die Magie in mir, nicht wahr?“
„Sie zog mich zu Euch, doch sie begann erst mit dem Regen. Als hättet ihr gelernt, Eure Spur zu verdecken, und dann einen solchen Zuwachs an Kraft erfahren, dass Eure alte Gewohnheit das nicht mehr zu deckeln vermag. Allein das Ausmaß Eurer Magie…“, sie kam näher und reichte ihm die Hand, „bitte kommt mit mir. Bei uns seid Ihr vor allem geschützt, was Euch erst dazu brachte, Eure wahre Macht zu verschleiern.“
„Ihr wollt mich nicht missionieren?“
Sie schüttelte den Kopf. „Glaubt Ihr nicht an Die Schrift, ist das allein Eure Entscheidung.“
Er konnte den Widerwillen erkennen, der hinter diesen Worten steckte, was sie aus irgendeinem Grund sympathischer machte. Schnell griff er ihre Hand und zog sich daran hoch. Auf ihren Armen lag eine Gänsehaut. Seine Lunge schrie auf, ließ ihn erst mal atemlos.
„Ich denke“, sagte er und schnappte nach Luft, „ich werde mit Euch kommen, sonst erkälte ich mich noch hier draußen.“
Wieder lag Besorgnis in ihrem Blick, die sie nicht zu überspielen versuchte. Vielleicht weil er so um Atem rang. Vielleicht weil die Haut von Wassermagiern ungewöhnlich kalt war.
„Nun, es gibt bei uns genug Tee, der Euch von innen aufwärmen kann“, erklärte sie im Plauderton, „Ist das nicht genug, finden wir sicher noch etwas anderes, das uns da hilft. In der Küche finden wir sicher auch eine nahrhafte Suppe. Und wenn Euch dann noch von außen kalt ist, gibt es Mittel und Wege das zu ändern.“
Er schaute fragend zu ihr hinunter, ehe er ihr wortlos folgte. Im Laufe des Gesprächs hatte sich ihr nun vollständig durchnässtes Gewand wie eine zweite Haut an sie geschmiegt. Mit einer Hand strich er nasse Haare aus seiner Stirn. So viele Mädchen waren ihm vor so langer Zeit verfallen – und er hatte jeden Moment genossen. Wenn diese Geistliche nun Gedanken hatte, die in diese Richtung gingen, so unwahrscheinlich das auch schien, wäre er dem zu wenig abgeneigt. Und wenn nicht, dann war der Tee sicher vorzüglich.

2 Kommentare:

  1. Aww, du zauberst mit deinen Worten immer wieder so wundervolle Bilder in meinem Kopf. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie du solche wunderschönen Kurzgeschichten schreiben kannst. Deine Charaktere wirken in wenigen Zeilen immer so lebendig und interessant, dass man alles über sie wissen möchte.
    Ich kann deine Geschichten ganz deutlich in einen schönen Einband gehüllt im Bücherregal der Buchhandlung um die Ecke sehen. Irgendwann, Fräulein Lawrence, da bin ich sicher, werde ich ein Buch von dir in Händen halten ♥

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    1. ;___; Es ist so schön, deine Kommentare zu lesen. Da weiß ich wieder, warum ich hier überhaupt poste.
      Ich bin am besten mit Charakteren, die ich schon kenne - und den Herrn hier habe ich seit 2010 im Repertoire, wollte seinen Namen aber nicht einbringen (das war eine Herausforderung!).
      Wenn ich nicht so eine faule Person wäre, die sich nichts traut, könnte das eventuell sogar passieren. *lach* Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.

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